Im Frühwarnnetzwerk der Verbraucherzentralen nehmen Beschwerden zu Inkassoforderungen über nahezu alle Marktsegmente hinweg einen hohen Stellenwert ein. So gingen im Schwerpunkt digitale Dienstleistungen zahlreiche Verbraucherbeschwerden zu Inkassoforderungen ein, die unter anderem von Anbietern unseriöser Routenplaner, Online-Dating-Portalen und Internet-Gewinnspielen stammen. Aus Beratungsgesprächen der Verbraucherzentralen lässt sich erkennen, dass sich Verbraucher aufgrund der eindringlichen und teilweise aggressiven Formulierungen des jeweiligen Schreibens eingeschüchtert fühlen; beispielsweise durch Androhung einer Zwangspfändung oder Ankündigung des Gerichtsvollziehers.
Im Auftrag des Marktwächter-Teams der Verbraucherzentrale Bayern wurden von Umfrageinstitut forsa 1006 repräsentativ ausgewählte Internetnutzer befragt, wie bedrohlich sie vier ausgewählte Formulierungen aus realen Inkassoforderungen wahrnehmen.
Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass Verbraucher Inkasso-Schreiben grundsätzlich als bedrohlich einstufen, aber dabei durchaus differenzieren. Je mehr das Schreiben nur vermeintlich negative Folgen für den Verbraucher darstellt, also den Besuch des Gerichtsvollziehers oder den Haftbefehl, und umso weniger auf die tatsächlichen nächsten Schritte wie die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens hingewiesen wird, umso bedrohlicher werden die Formulierungen wahrgenommen. Dies lässt darauf schließen, dass der einzelne Verbraucher in der Regel nicht über ausreichend juristische Expertise verfügt, um die angekündigten Folgen sachlich richtig bewerten zu können. Das kann dazu führen, dass Verbraucher eingeschüchtert sind und selbst Forderungen zahlen, die unberechtigt sind.
Im Folgenden wird anhand der vier exemplarischen Formulierungen dargestellt, wie bedrohlich einerseits Verbraucher diese Schreiben wahrnehmen und was tatsächlich aus juristischer Sicht dahintersteckt.
Im Folgenden wird anhand der vier exemplarischen Formulierungen dargestellt, wie bedrohlich einerseits Verbraucher diese Schreiben wahrnehmen und was tatsächlich aus juristischer Sicht dahintersteckt:
Formulierungsbeispiel | wahrgenommene Bedrohlichkeit | Das sagt der Jurist |
„Aus diesem Grund wird Sie am Freitag, den 14.04.2017 um 10:00 Uhr unser Inkasso Außendienst Team besuchen, um Ihre Wertgegenstände zu pfänden. Soweit es möglich ist, werden die Gegenstände mit dem Kleintransporter abtransportiert, für größere Gegenstände wird für den Folgetag eine Spedition beauftragt. Sollten Sie selbst nicht zu Hause sein oder die Tür selbst öffnen, wird ein Schlosser hinzugezogen, der die Tür dann öffnen wird.“ | 81% | Inkassounternehmen besitzen keine Sonderrechte. Sie sind deshalb weder berechtigt, Sachen einfach zu pfänden, noch Wohnungen oder Grundstücke einfach zu betreten. Dazu berechtigt ist nur der Gerichtsvollzieher. Andernfalls machen sich die Mitarbeiter des Inkassobüros strafbar. Ein Inkassounternehmen darf also auch keine Türen selbst öffnen oder mit Hilfe eines Schlossers öffnen lassen. Damit ist diese Formulierung juristisch nicht haltbar. |
„Die Einleitung gerichtlicher Schritte steht unmittelbar bevor. Nach Erwirkung eines Vollstreckungstitels besteht 30 Jahre lang die Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung gegen Sie zu betreiben: Gerichtsvollzieher, Lohnpfändung, Kontopfändung, Haftbefehl, Eidesstattliche Versicherung etc. – wir hoffen, dass Sie es nicht soweit kommen lassen!“ | 72% | In dieser Formulierung bleiben die tatsächlichen juristischen Schritte an wichtigen Punkten unerwähnt. Damit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen überhaupt erst durchgeführt werden können, bedarf es zunächst eines gerichtlichen Mahnverfahrens bzw. eines Klageverfahrens. Hier unterbleibt aber vor allem der Hinweis, dass das Gericht auch noch zugunsten des Gläubigers (z.B. Vollstreckungsbescheid oder Urteil) entscheiden muss, bevor die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Soll ein Haftbefehl beantragt werden, muss der Schuldner zuvor die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verweigert haben. |
„Bitte bedenken Sie, dass wir bei Nichtzahlung dieser Aufforderung gezwungen sind, gerichtliche Schritte gegen Sie einzuleiten. Sollten wir keinen Geldeingang verzeichnen können und die Forderung unbestritten bleiben, sind wir berechtigt, das Bestehen des Inkassoverfahrens – bei Vorliegen aller rechtlichen Voraussetzungen (gem. § 28a BDSG) – an Wirtschaftsauskunfteien zu melden.“ | 49% | Laut BGH muss ein Gläubiger, der mit der Übermittlung der Daten an eine Wirtschaftsauskunftei droht, jedenfalls auch erwähnen, dass das Bestreiten der Forderung durch den Schuldner ausreicht, um die Datenübermittlung zu verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 19.03.2015 I ZR 157/13). Der Hinweis auf eine Eintragung zum Beispiel in die SCHUFA soll nicht dazu dienen, dem Gläubiger ein Druckmittel in die Hand zu geben. Vielmehr soll der Schuldner die Gelegenheit erhalten, die Forderung vor einer Eintragung noch zu begleichen oder zu bestreiten. Da der Gläubiger hier nicht verschleiert, dass der Schuldner es in der Hand hat durch ein einfaches Bestreiten der Forderung einen angedrohten SCHUFA-Eintrag vorerst abzuwenden, ist die Formulierung zulässig. |
„Sollten wir auch bis zum 14.04.2017 keinen Zahlungseingang auf unserem Konto verzeichnen, werden wir unserem Auftraggeber empfehlen, die Forderung unverzüglich gerichtlich geltend zu machen.“ | 45% | Hier werden neutral die nächsten Schritte aufgeführt. Sollte der Schuldner nicht zahlen, ist für den Gläubiger oder das Inkassounternehmen der nächste Schritt die Einleitung des Mahnverfahrens oder die direkte Klageerhebung. Da entweder das Mahngericht oder das ordentliche Gericht zuständig ist, handelt es sich in jedem Fall um die gerichtliche Geltendmachung einer Forderung und wird somit korrekt dargestellt. |
Frageformulierung:
- Stellen Sie sich bitte vor, Sie erhalten einen Brief oder eine E-Mail von einem Inkassounternehmen, in dem Sie zur Zahlung einer offenen Rechnung aufgefordert werden. Wir würden gerne von Ihnen wissen, wie bedrohlich Sie selbst diese Formulierungen empfinden?
- Vorgegeben wurden folgende Antwortkategorien: „sehr bedrohlich“, „bedrohlich“, „weniger bedrohlich“ oder „überhaupt nicht bedrohlich“.
Methodische Anmerkungen
- Methode: Repräsentative Online-Befragung per CAWI
- Auswahlverfahren: Quotierte Auswahl von Internetnutzern ab 18 Jahren aus dem forsa.omninet-Panel
- Statistische Fehlertoleranz: Maximal +/- 3 Prozent in der Gesamtstichprobe
- Stichprobengröße: n = 1.006 (netto)
- Zeitraum der Durchführung: 23.03.2017 bis 28.03.2017
- Durchführendes Institut: forsa main, Marktinformationssysteme GmbH im Auftrag des Marktwächters Digitale Welt der Verbraucherzentralen