Wer ist schuld an den hohen Preisen?
In den vergangenen Monaten ist ein Preiskampf zwischen Lebensmittelherstellern und Händlern entfacht. Die großen Discounter- und Supermarktketten brüsten sich damit, die Preise für Eigenmarken-Produkte nach den Preisanstiegen des vergangenen Jahres wieder gesenkt zu haben. Viele Marken-Hersteller wollen ihre Preise allerdings hochhalten oder sogar weiter anheben. Sie begründen die Preissteigerungen vor allem mit den zusammengebrochenen Lieferketten und hohen Rohstoffkosten im Zuge des Krieges gegen die Ukraine.
Allerdings sind die Rohstoffpreise zuletzt wieder gefallen. Daher erwarten Supermarktketten wie Edeka und Rewe nun von Produzenten sinkende Lebensmittelpreise. Die Produzenten wiederum begründen die gleichbleibenden oder weiter steigenden Preise damit, dass sie ihre Mehrkosten nur verzögert an Konsument:innen weitergeben konnten. Um also weiter profitabel zu bleiben, halten die Hersteller die Preise auf einem hohen Niveau.
Supermärkte haben zuletzt wiederholt medienwirksam Produkte aus dem Sortiment genommen, da sie die Preise nicht an ihre Kund:innen weitergeben wollten. Praktischer Nebeneffekt für die Händler: In Krisenzeiten greifen Konsument:innen lieber zu den günstigeren Handelsmarken als zu Herstellermarken, zeigt eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK).
Während sich Händler und Hersteller gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben, haben Verbraucher:innen das Nachsehen: Auch wenn einzelne Produkte wie Butter wieder günstiger zu haben sind, bleiben die Preise flächendeckend hoch: Die Inflationsrate für Nahrungsmittel ist mit neun Prozent derzeit höher als die allgemeine Inflationsrate. Das dürfte viele Ratsuchende verärgern.
Die Gier-Flation: Mythos oder Fakt?
Noch ärgerlicher dürfte für Ratsuchende sein, dass die starken Preissteigerungen bei Lebensmitteln in einigen Fällen nicht gerechtfertigt sein dürften. Der Vorwurf: Die Konzerne profitieren vom sogenannten Mitnahmeeffekt. Das heißt, sie geben nicht nur ihre Mehrkosten an Verbraucher:innen weiter, sondern heben die Preise darüber hinaus an. So erwirtschaften sie höhere Gewinne – auf Kosten der Kund:innen. Dieses Phänomen wird umgangssprachlich mit der Wortneuschöpfung „Gier-Flation“ beschrieben – die Profitgier der Unternehmen, gepaart mit einer Preisinflation. Betroffene dürften dank Medienberichten mit der Debatte vertraut sein – und sich beim Blick auf den Kassenbon übers Ohr gehauen fühlen.
Und das teilweise zurecht: Auch wenn viele Preissteigerungen bei Lebensmitteln tatsächlich durch Mehrkosten bei Rohstoffen und in der Produktion zu erklären sind, so längst nicht in allen Fällen. Das Ausmaß der Preisinflation ist bei vielen einzelnen Lebensmitteln weder zu rechtfertigen noch nachvollziehbar.
Die Studienlage zur Gierflation
Die Debatte wird längst international geführt: So hatte sich die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, in diesem Jahr ebenfalls zu dem Thema geäußert. In einer Rede vor dem EU-Parlament warf auch sie Unternehmen vor, die Inflation mit überhöhten Preisen zusätzlich angeheizt zu haben. Sie fordert die nationalen Wettbewerbsbehörden auf, sich dem Thema Gier-Flation anzunehmen.
Auch erste Studien weisen bereits darauf hin, dass bestimmte Branchen ihre Preise zu stark erhöht haben – darunter der Handel. Eine Übersicht der Untersuchungen und ihrer Ergebnisse:
- Marktcheck der Verbraucherzentrale NRW, Mai 2023:
Bei 19 untersuchten Grundnahrungsmitteln in verschiedenen Filialen von vier Supermarkt- und Discounterketten in 5 Großstädten in NRW gab es erhebliche Preisunterschiede von bis zu 400 Prozent – bei Produkten mit vergleichbarer Qualität.
- Studie des Ifo-Instituts unter der Leitung von Joachim Ragnitz aus Dezember 2022:
Gestiegene Preise für Energie und Vorleistungen allein erklären nicht das Ausmaß der Inflation in Deutschland. Einige Unternehmen sollen laut Ragnitz ihre Gewinne mithilfe der Preissteigerungen ausgeweitet haben. Dabei sollen die Gewinnaufschläge der Unternehmen zweitgrößter Inflationstreiber sein, gleich nach den gestiegenen Kosten für Energie und Rohstoffe. Vor allem betroffen seien der Handel, die Landwirtschaft und der Bau.
- Studie des Kreditversicherers Allianz Trade aus April 2023:
Die Studie hat auf die Inflation in Europa geschaut. Das Ergebnis: Insbesondere Lebensmittelhersteller seien hungrig nach Profiten und haben die Preise wesentlich stärker erhöht als die Einzelhändler. Die übermäßigen Gewinnmitnahmen der Unternehmen tragen einen – wenn auch kleinen – Anteil zu der Lebensmittelinflation im vergangenen Jahr bei. In Deutschland stellte die Analyse einen besonders großen Profit-Hunger bei den Konzernen fest: „Mehr als ein Drittel des jüngsten Anstiegs der Lebensmittelpreise hierzulande können nicht mit den traditionellen Risikotreibern erklärt werden“, heißt es in der Studie. Die Autoren sehen zunehmend Anzeichen für Gewinnmitnahmen und unzureichenden Wettbewerb, insbesondere bei Milchprodukten, Eiern und bei nicht-saisonalem Obst und Gemüse.
- Buch: „Marktbeherrschung im Lebensmitteleinzelhandel“ von Rainer Lademann und Mitja Kleczka, erschienen 2023:
Im Laufe der vergangenen 20 Jahre haben die vier Unternehmensgruppen Edeka, Rewe, Schwarz und Aldi eine marktbeherrschende Stellung eingenommen. Die vier Konzerne kontrollieren mehr als 85 Prozent des Umsatzes im deutschen Lebensmittelhandel. Diese Marktmacht nutzt der Handel, um die Preise nach oben zu treiben. Lademann und Kleczkas‘ Schätzungen zufolge erzielt der Lebensmittelhandel höhere Eigenkapitalrenditen als die Ernährungsindustrie.
- Isabella Weber und Evan Wasner von der University of Massachusetts, 2023:
In der Analyse gehen die Autoren der Frage nach, wie Rekordgewinne der Unternehmen mit der Inflation in Krisenzeiten zusammenpassen. Ihre Antwort: Die Konzerngewinne haben von Lieferengpässen, Kapazitätsengpässe und Energiekrise profitiert. Weber sieht daher politische Instrumente für die Bekämpfung der Inflation als mögliche Lösung.
Schlussfolgerungen aus den Studien:
- Die Preisunterschiede bei gleichwertigen Produkten sind teilweise enorm – Preise vergleichen lohnt sich mehr denn je.
- Es gibt Anzeichen dafür, dass einige Unternehmen Mitnahmeeffekte durch die Preissteigerungen erzielt haben.
- Die Händler sind nicht die weißen Ritter im Auftrag der Konsument:innen, die sie vorgeben, zu sein. Sie stecken in der Preis-Gewinn-Spirale mit drin.
- Der Wettbewerb sollte im deutschen Einzelhandel besser kontrolliert werden.
Was kann man gegen die Gier-Flation tun?
Ratsuchende können beim Kampf gegen hohe Preise leider nicht allzu viel ausrichten. Betroffene können lediglich Grundpreise pro Pfund/Kilo oder pro Liter miteinander vergleichen und innerhalb des Angebots so günstig wie möglich einkaufen. Wobei auch hier in den Läden oft Angaben fehlen oder fehlerhaft gemacht werden.
Hier ist die Politik gefragt. Das Thema wird bereits im Bundestag diskutiert: So fordert die Bundesregierung – allen voran SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken – die Einrichtung einer staatlichen Beobachtungsstelle für Unternehmensgewinne, wie es sie bereits in Spanien gibt. So lassen sich diese genauer unter die Lupe nehmen.
Auch das Bundeskartellamt muss bei der Preisentwicklung im Handel und bei den Herstellern genauer hinsehen. Ein jüngst beschlossene Reform des Kartellrechts dürfte dem Bundeskartellamt dafür in eine bessere Position bringen. So kann die Wettbewerbsbehörde dem neuen Gesetz nach bereits bei einer Störung des Wettbewerbs im Sinne der Verbraucher:innen tätig werden.
Die Verbraucherzentralen fordern deshalb Politik und Bundeskartellamt auf, die Preisentwicklung im Handel und bei Herstellern sowie versteckte Preissteigerungen in Form von Shrinkflation oder Skimpflation zu untersuchen und besser zu regulieren.